Shadowrun

Autor: Cristo Fe Crespo Soro

Kurzgeschichte: Hallo, Mister Troll!

„Hallo, Mister Troll!“

Old Man erschrak, als er mit entsicherter Kali II herumschoss.

Sofort sicherte er den Karabiner wieder.

Zwar passte die Stimme, die er vernommen hatte perfekt zur Sprecherin und theoretisch war diese auch passend zur Abendzeit gekleidet.

Aber Old Man, ein imposanter Troll, dessen bürgerliche Namen Robin Warden Cusack war, befand sich momentan auf einem Run in einem aufgegebenen Schattenlabor.

Was also suchte ein knapp 4-jähriges Orkmädchen hier, dass bloß mit einem blassblauen Nachthemd bekleidet, barfüßig und mit einem Plüschtier im Arm unterwegs war?

Sie war winzig, der flauschige Teddybär mit seiner grellbunten Chullo fast größer als sie.

Verunsichert checkte der Troll das Terminal der Schleuse, die er bisher bewacht hatte. Doch niemand war hier hindurch gekommen. Und auch nicht durch die Sicherheitstüre gegenüber, die er stets im Auge behalten hatte.

Er war also alleine hier.

Oder sollte es sein.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen überlegte er sich gerade, wie er die Situation Ocho erklären konnte, als ihm auffiel, dass das Mädchen nicht nur ätherisch wirkte, sondern sogar teilweise durchschimmernd war.

Und sie besaß überhaupt keine Körperwärme.

War das ein Geist?

„Bist du ein Geist?“ Fragte er sie.

Augenblicklich kamen ihm Debis haarsträubende Schauergeschichten über Geister in den Sinn. Debi Owens, Runner-Kollegin und Magierin mit dem klangvollen Straßennamen Saphira, hatte ihm in ihren Suff-Nächten schon so manche schräge Anekdote zu dem Thema erzählt. Und er hatte sie stets als eines ihrer vielen Hirngespinste abgetan.

So konnte man sich irren.

„Was tun sie gerade, Mister Troll?“

„Nenn mich bitte Old Man. Oder ...“

Er haderte kurz.

War es gefährlich, wenn er dem Geist seinen ganzen Namen verriet?

„Nenn mich ganz einfach Robin.“

„Ja, Mister Troll.“

„Das geht natürlich auch.“ Grinste er.

Der Geist würde zumindest keine Probleme haben, ihn zu verzaubern.

„Ich passe auf, dass die bösen Buben meine Freunde nicht stören.“

Das Orkmädchen nickte heftig. „So wie bei uns. Machen wir auch. Nagyi war spitze, als sie noch lief.“

Was mochte der Kleinen zugestoßen sein, dass sie hier herumspukte?

Nachdenklich fuhr sich der Troll durch seinen filzigen, weißen Bart. Die Art und Weise, wie der unerwartete Gast währenddessen zu ihm hochsah, ließ sein Herz schmelzen.

Wahrscheinlich war sie in der Nacht der Schande umgekommen. Debi hatte mal gemeint, dass die Mehrzahl der dokumentierten Geistersichtungen mit Leuten zu tun hatten, die in dieser schrecklichen Nacht getötet worden waren.

Oder es hatte mit dem Ort zu tun, an dem sie sich befanden.

Zwar hatte man ihnen mehrfach zugesichert, dass das Labor bereits komplett geräumt war. Aber er hatte immer noch Janus Warnungen im Ohr, was für Bedrohungen sie hier erwarten mochten. Wurde er vielleicht unvorsichtig?

Da bei ihm bisher nichts ‚Relevantes‘ vorgefallen war, überprüfte er Ochos Statusmeldungen an alle, da dieser für die Koordinierung des Runs zuständig war.

Waren zumindest die anderen auf irgendeinen markanten Widerstand gestoßen?

Wohl nicht ...

Denn außer einem Meer an Hundehaufen-Emojis in der AR vor sich, war nichts anderes zu sehen.

Ocho, ihr Rigger, Decker und Meisterkoch, der auf den Namen Oscar Malet hörte, hatte im Gegensatz zu ihnen allen eine richtige Familie. Und dementsprechend erfreut war er wohl im Moment.

Wenigstens er hätte am Weihnachtsabend Besseres zu tun gehabt.

Old Man beäugte den Floh vor sich. Wie sich das Mädchen an ihren Teddy klammerte und so absolut verloren wirkte, ihn aber dennoch begeistert anlächelte. Ihr linker Hauer hatte sogar den typischen Drall, der sich manchmal bei Milchzähnen ergab.

Sie schien jünger als Ochos Kleinste.

Das unerwartete Intermezzo entwickelte sich immer mehr zu einer angenehmen Überraschung während des Schattenlaufs. Es mochte schon leicht verdientes Geld sein, aber er hätte an einem Abend wie diesem sicherlich besseres zu tun gehabt.

Hätte er?

Nun ja, Debi hatte sicher schon das Bier kaltgestellt. Und wer weiß, vielleicht durfte er sogar bis am Morgen bleiben.

„Sie sind ein sehr mutiger Schattenrenner. Weil sie vor nichts Angst haben, oder? Sie sind ja höher als ein Hochhaus und sehr, sehr stark, Mister Troll.“

Beim Sprechen legte das Mädchen den Kopf so weit in dem Nacken, dass sie fast auf den Rücken fiel.

Ok, das Kompliment schmeichelte ihm jetzt mehr, als er hätte zugeben wollen. Deswegen wurde er unvorsichtig, als er vor ihr in die Hocke ging.

„Ach Engel, vielleicht war ich das Mal wirklich. Vor langer Zeit. Da war ich tatsächlich furchtlos und ein ...“

Eine dunkle Vorahnung legte sich wie ein Schatten über ihn, als sein rechtes Cyberauge kurz die Fokussierung verlor und er ein organisches Stechen im Cyberarm spürte.

Mit sichtlichem Unbehagen verstummte, rang jetzt mit sich selber. Das war ein Teil seiner Vergangenheit, mit der er abgeschlossen hatte. Und deren üblen Erinnerungen ihm jedes Mal zu schaffen gemacht hatten. Wieso musste das nun hochkommen?

Unsicher beäugte er das Orkmädchen und begann daran zu glauben, dass doch einiges von Debis wirres Gerede über Geister wahr sein könnte.

Geduldig lächelte ihn das Mädchen an und wartete; dabei hin und her wippend.

Doch Old Man wollte es auf keinen Fall enttäuschen. Vor allem nicht, weil es in ihm etwas sah, dass schon längstens nicht mehr existierte.

„Aber stark bin ich. Hab mir sogar Kunstmuskeln implantieren lassen und meinen Cyberarm mit richtig starken Magneten ausgerüstet. Wollte mal damit angeben; eine Türe aufreißen zu können, ohne sie berühren zu müssen. Bin jedoch nur dazu gekommen, eine von Ochos Drohnen abzuschießen. Danach durfte ich die Magneten nie wieder benutzen.“

Das hässliche Stechen in seinem rechten Oberarm irritierte immer mehr und lenkte ihn ab. „In Wahrheit habe ich es in meinem Leben nie zu was gebracht. Und erst recht kläglich versagt, als es eine wirkliche Rolle gespielt hätte.“

Er seufzte schwer und rief sich in Erinnerung, dass das sicher nichts war, dass ein unschuldiges Kind von ihm hören wollte. „Das ich als Runner nie etwas Nennenswertes geleistet habe, hat sich aber aus den Umständen so ergeben.

Weißt du, das hier sind nicht die Schatten, wie man sie aus den Trids kennt. Hier kämpft man nicht um Leben oder Tod. Eher um Fasten oder Futtern. Stets nicht wissend, was der nächste Tag bringt. Was das betrifft ... da ich im Vorausplanen nie wirklich gut war, habe ich es auch zu nichts gebracht. Aber glaub mir. Im Improvisieren bin ich Weltklasse.“

Sich an seinen wuchtigen, mit Gravuren verzierten Hörnern kratzend, verfiel er wieder ins Grübeln. „Mit dem Alter kommt die Ernüchterung, dass es nie etwas gab, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich ...“

Der Troll hielt inne, als das Orkmädchen einen Finger auf ihre Lippen legte und zur Schleuse deutete. Kampfbereit erhob er sich.

Wie aufs Stichwort erschienen jetzt auf der anderen Seite zwei anthropomorphe Drohnen, die wahrscheinlich auf einem Routine-Patrouillengang unterwegs waren. Schien so, als wären sie bei der fluchtartigen Räumung der Anlage vergessen worden.

Die zwei steifen Samurais funktionierten zwar autonom, besaßen aber keinen Zugang mehr zu einem übergeordneten System, welches sie steuern würde. Das war schon vor Tagen komplett abgeschaltet worden. Es waren nur noch Irrläufer.

Aber sie waren bewaffnet.

Und das stellte eine ernstzunehmende Gefahr dar. Erst recht, sollte es den beiden Blechmännern gelingen, die Anlage zu verlassen. Also waren sie mit Sicherheit zum Abschuss frei gegeben.

Lautlos zog Old Man sein Monofilamentschwert und wartete, bis die Drohnen die Schleuse betreten hatten. Er köpfte beide mit einem einzigen Hieb, noch bevor diese seiner gewahr werden konnten. Hierbei versuchte er so cool wie nur möglich zu wirken.

Und hatte Erfolg, denn das Orkmädchen zeigte sich darob sichtlich beeindruckt.

„Danke,“ murmelte Robin, „aber in Wirklichkeit bin ich schon zu alt für einen echten Schwertkampf.“

„Alt? Papa und seine Hobbitse sagen, dass man nichts Neuem so vertrauen kann wie den ‚alten Dingen‘.“

Die Familie der Kleinen wurde ihm immer sympathischer.

Könnte es sein, dass sie aus einer anderen Epoche stammte?

In welchem Jahrzehnt mochte sie geboren worden sein?

„Danke ebenfalls,“ strahlte ihn das Orkmädchen unerwartet mit einer Wärme in der Stimme an, die ihm seltsamerweise weh tat und einen eiskalten Schauer den Rücken hinab jagte, „dass sie zugehört haben Mister Troll. Ich wollte unbedingt mit jemandem sprechen, der noch kein gefrorenes Herz hat.“

Ihr Lächeln bekam eine bittere Note.

„Aber jetzt ist es Zeit für mich zum Gehen. Ich muss zu Duchesse und ihre Babys. Sie brauchen mich.“

„Duchesse?“

„Meine Katze. Sie hat über drei Babys geboren.“

Das Orkmädchen hielt inne und schien plötzlich die Last der Welt zu schultern. „Sie sollen nicht alleine sterben. Alleine Sterben ist schlimm, sagt Nagyi.“

Robin Cusack spürte jetzt einen Kloß im Hals, als er sich kaum traute zu fragen.

„Wieso müsst ihr sterben?“

„Das Feuer hat uns bald erreicht.“

Sein Herz raste, als im dämmerte, weswegen er vom Geist heimgesucht worden war. Das war also der Höllentrip, vor dem ihn Debi gewarnt hatte.

Eigentlich hätte er wegrennen wollen, um sich betrinken zu können und so für einige Stunden den Schmerz und die Erinnerungen zu betäuben. Das funktionierte meistens. Und danach ging das Leben ja auch wieder weiter.
Eigentlich ...

Doch irgendwie kam er hier und jetzt auf die bizarre Idee, dass wenn er das Orkmädchen vor den Flammen retten könnte, er selber Vergebung finden würde.

Also versuchte er, ihr zumindest Hoffnung zu schenken. „Ihr könnt immer noch fliehen. Sobald die Feuerwehr da ist, seid ihr gerettet.“

„Es hat uns eingeschlossen.“

Old Man hatte augenblicklich akute Atemnot und ihm war übel, als er vor dem Mädchen in die Knie sackte. Ein nicht vorhandener Rauch brannte in ihm den Augen.

„Sicherlich kommt noch rechtzeitig jemand und rettet euch. Die Feuerwehr ist ja genau dafür da, dass sie euch rettet.“

„Papa sagt, dass draußen niemand weiß, dass wir da sind. Weil die bösen Katzenköpfe mit dem schrecklichen Gebiss uns nicht finden dürfen, haben wir uns immer vor allen versteckt. Nagyi sagt, dass wir erfolgreich waren. Also weiß niemand, dass wir da sind. So kann uns auch niemand finden. Niemand wird kommen.“

Sie lächelte tapfer, als sie zum Abschied winkte.

„Aber die Feuerwehr ...“ Instinktiv schnappte der Troll nach ihr.

Doch er griff ins Leere, als sie endgültig verblasste.

Mit einem wütenden, frustrierten Brüllen hämmerte er die Cyberfaust in den Boden und pulverisierte dabei eine Bodenfliese.

Und wieder hatte er versagt.

Keuchend kämpfte Old Man jetzt gegen die Tränen, während ihm das Herz bis zum Hals pochte. So durften ihn die anderen nicht sehen.

Zwar war ihm klar, dass die Flashbacks und Alpträume mit dem Alter immer schlimmer wurden. Aber das hier wahr einiges übler gewesen als er bisher befürchtet hatte. Es war wohl endgültig Zeit, dass er sich aus den Schatten zurückzog.

Zitternd setzte sich der Troll hin und begann mit entspannenden Atemübungen.

„Gib es zu, alter Mann, du warst schon immer ein Versager.“

Seine Stimme klang abgekämpft, während er nach seiner Kali II suchte, die ihm vorher entglitten war.

Als er sich schließlich in die Höhe stemmte, blieb er reglos vor der Schleuse stehen und fixierte sein Spiegelbild. Sein Cyberarm zuckte nur noch schwach. Und er hasste alles, was er sah.

Er fühlte sich unendlich alt und absolut nutzlos. Ideale Voraussetzungen für Heiligabend.

Old Man hoffte wirklich, dass er zu Debi durfte, um sich ins Koma zu saufen.

Wäre an Weihnachten nicht das erste Mal.

Sein Blick verirrte sich an die Stelle, an der ihm der Geist des Mädchens erschienen war, und er konnte die Tränen nicht zurückhalten.

Vielleicht spukte sie herum, weil im Moment ein rabiater Brandstifter die Gegend unsicher machte, der praktisch vor ein paar Stunden erneut zugeschlagen hatte. War ja auch der Grund, weswegen sie sich auf den Run eingelassen hatten. In der exterritorialen Zone herrschte augenblicklich der Ausnahmezustand. Wer also hier zu Hause war, wusste, wie er das Chaos zu seinen Gunsten nutzen konnte.

Möglicherweise war das so eine Art Resonanz im Astralraum, dachte er, Debi konnte ihm sicher mehr darüber erzählen.

Aber eines war ihm gewiss: „Kleines Mädchen, ich werde an dich denken und dich in meinem Herzen bewahren. So lange ich lebe. Wissend, dass es dich wirklich gab. Auch wenn du nie eine Chance hattest.“

Irgendwie tröstete ihn dieser Gedanke.

Denn an das kleine Orkmädchen würde er noch lange denken müssen.

Rasch wischte er sich das Gesicht trocken.

Wenn er nur etwas an ihrem Schicksal ändern könnte.

Zumindest wusste er jetzt, wie sie gestorben war und wieso ihr Geist keinen Frieden finden konnte.

Das süße Ding hatte einen tieferen Eindruck hinterlassen, als ihm lieb war, denn eine solche Tochter großziehen zu dürfen war unerwarteterweise eine aufkeimende Sehnsucht, die er nie für möglich gehalten hätte.

Wieso hatte er sich nicht getraut, nach ihren Namen zu fragen?

Er ballte die Cyberfaust, bis das Metall knirschte.

Es war nutzlos. Er brachte wirklich nichts auf die Reihe.

Aber vielleicht ging Ocho für ihn durch die hiesigen Chroniken und forschte nach vergangenen Bränden. Möglicherweise gab es ein Grab, das er besuchen konnte.

Ein angenehm kühles Lüftchen erreichte den Troll und berührte ihn, als begrüße es ihn.

Old Man riss sich endgültig zusammen.

Saphira und Janus kamen.

„Hallo Elsbeth.“ Meint er zum Luftzug.

Debi hatte schon von klein an ein Faible für Elementargeister gehabt. Und mit den Jahren hatte es sich zu einer ausgewachsenen Manie entwickelt. Wer sonst hielt sich einen Luftgeist, der nur dafür da war, dass die Frisur richtig saß?

Der Geist war aber hauptsächlich da, um ihr in ihrem ‚fortgeschrittenen Alter als nichtelfische Menschenfrau‘, wie sie sich stets gegenüber Janus bezeichnete, bei Hitzewallungen zu helfen.

Er grinste.

Und da war noch ihre bizarre Eigenart, allen beschworenen Geistern banale Namen zu geben. Weswegen sie ihr momentanes Luftelementar Elsbeth getauft hatte. War wohl ihre Art, mit der Einsamkeit in ihren Leben fertig zu werden.

Die Sicherheitstüre fuhr zischend auf.

Janus, der silberblonde Vorzeigelf ihres Teams war gerade in seinem Element, als er über Funk mit Ocho sprach. „Wie abgemacht, haben wir die Dossiers erfolgreich bergen und uns vergewissern können, dass keine Kopien davon existieren. Saphira hat noch Kleinholz aus der verbliebenen Speichereinheit gemacht, damit das künftig auch so bleibt.“

Als das ungleiche Paar vor dem Troll ankam, legte Janus lässig den Arm über die Schulter der Magierin und sah zu ihm hoch. „War doch ein Kinderspiel.“

Old Man verschränkte die Arme. „Klang aber beim Briefing bei Herrn Schmitt anders.“

Während sie sich aus der Umarmung löste, nickte Debi heftig. „Ja! Mensch, du hast uns echt einen Heidenschreck eingejagt. Ich gab ja sogar Tobi und Mark deswegen mitgebracht.“

„Und ich den gepanzerten Van aus dem Winterschlaf geholt.“ Meldete sich Ocho leicht genervt über Funk.

Janus wich einen Schritt zurück. „Dankt mir ruhig später. Aber ich dachte mir, wenn unser Schieber uns schon an Weihnachten raus jagen muss, soll der Herr Schmitt auch dafür bluten. Hab halt kräftig Gefahrenzulage rausgeholt.“

„Ein ‚Face‘, der solche Betrügereien einsetzt, ist sein Geld nicht mehr wert. Wäre der Herr ein Nutztier, wäre er überfällig für die Schlachtung.“ Kommentierte Ocho die Aussage.

Gerade als sich das Gesicht des Elfen verfärbte und er zu einer gepfefferten Erwiderung ansetzen wollte, fuhr Debi beschwichtigend dazwischen.

„Das gilt doch inzwischen für uns alle. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Ich denke, für einen richtigen Runner sind wir schon längst zu faul und zu verwöhnt geworden. Wann war denn das letzte Mal, dass wir blindlings einen hohen Einsatz wagten?“

Kurz herrschte schweigen, machte sich ein unangenehmer Konsens breit.

„Kann sein,“ kam es von Janus, „wahrscheinlich haben wir wirklich an Biss verloren.“

Ernüchtert nickte er.

Und es war offensichtlich, dass auch er Weihnachten alleine mit seinen inneren Dämonen verbringen würde.

„Wir sind nun mal Auslaufmodelle, dessen Zeit endgültig vorbei ist. Und wenn wir schon einmal beim Thema sind,“ befand Old Man, während er sich über die Magierin beugte, „da schleichen sich wieder ein paar graue Haare an.“

Was bei Debi dazu führte, sich irritiert einen Taschenspiegel an den Kopf zu halten und sich die Haare abzutasten. Derweil projizierte der Spiegel in ihrem Sichtfeld ein Falschfarbenbild der Kopfhaut, in dem der natürliche Haaransatz deutlich hervorgehoben wurde.

„Teufel nochmals. Ich kann machen, was ich will. Das funzt immer schlechter. Und je teurer das Mittel, desto weniger lange hält es.“

„Ist das Alter. Früher oder später ist alles für die Katz.“ Versuchte der Elf witzig zu sein.

„Kaum!“ Fuhr sie ihn miesepetrig an. „Romeo wird unausstehlich sein, weil ich ihn wieder so lange alleine gelassen habe. Und erst recht, weil ich an einem Abend wie diesen nicht mit ihm zu Abend esse.“

„Das ist doch bloß deine Katze?“ Janus stand sein Unverständnis ins Gesicht geschrieben.

Old Man verklemmte sich seinerseits einen Kommentar, denn er wusste, was der cremefarbige Schmusetiger Debi bedeutete. Diese baute sich jetzt vor dem Elf auf und legte ihm auf Brusthöhe den Zeigefinger auf seinen heißgeliebten Argentum-Langmantel.

„Nicht für mich, mein Herr Elf. Romeo gehört nicht nur zur Familie, er ist meine Familie. Vor allem jetzt in diesen langen, trostlosen Nächten ist er mein Ein und Alles. Glaube oder glaube es nicht. Aber ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.“ Sie verschränkte die Arme, als hätte sie kalt. „Und ich werde stets bei ihm sein. Sei das auch der hoffentlich nicht so baldige Tag seiner Abreise über den Regenbogen.“

Ihr letzter Satz rief Old Man seine unheimliche Begegnung von vorhin in Erinnerung. „Wisst ihr, mir ist da was Seltsames passiert ...“

In genau diesem Augenblick wurden sie von Ocho unterbrochen, der sich lautstark über Funk zu Wort meldete: „Leute, sofort raus da. Schnell! So eine Gelegenheit bietet sich nie wieder. Wisst ihr was?

Reingekommen sind wir ja, weil unser mysteriöser Feuerteufel das Warenlager von Ares in die Luft gesprengt hat und jetzt sowohl die L-Brandwacht, wie auch die Knights versuchen Heer der Lage zu werden. Nun, am heutigen Weihnachtsabend hat dieser Spinner noch eins draufgelegt und ein zweites Lagerhaus hochgehen lassen. Dieses Mal hat es die Azzies erwischt. Das Chaos ist inzwischen absolut und total. Wenn wir uns also schlau anstellen, kommen wir raus und weg, ohne dass es überhaupt jemand bemerkt.“

„Aztechnology!“ Entrang es Old Man eine Spur zu schrill.

Debie und der Elf sahen zu ihm hoch.

Der Troll war leichenblass und zitterte sichtlich, als er jetzt mit belegter Stimme sprach. „Würdet ihr mir einmal in meinem Leben vorbehaltlos glauben?“


Weiter gehts mit dem zweiten Teil der Geschichte am 13.12.2022.