Shadowrun

09.12.2023: Tür 9

Eine Geschichte von Daniel Jennewein
für den SHADOWRUN-Adventskalender 2023

Landezone

[Feld in der Nähe von Rosenheim, Bayern, 07.11.2082, 04:12:33 Uhr]

Josip wartete im Cockpit und überflog die Nachrichten im Panoptikum. Moosleitners Tod traf ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Er hatte den alten Troll gemocht und ihm einige seiner Schmuggelrouten zu verdanken. Wer hätte gedacht, dass man mit einem T-Bird durch die Partnachklamm passt? Josip grinste beim Gedanken an ihr letztes Zusammentreffen. Kocherlball am chinesischen Turm. Das war jetzt vier Monate her und nun war der alte Troll tot.

Ruhe in Frieden, A-Hörnchen!

Sein Kontakt bei Saeder-Krupp hatte ihm zu äußerster Vorsicht geraten: Vor gut einem Jahr hatte er während eines größeren Auftrags die Seiten gewechselt. Nicht weiter verwunderlich, wenn S-K Prime in der Leitung ist und dir das Doppelte für deine Ladung bietet. Also hatten sie eine Verfolgungsjagd in den Alpen fingiert und er hatte einen alten Senkrechtstarter abgeschrieben. Die Ladung war offiziell im Karwendel verloren gegangen und befand sich Stunden später in einer geheimen Blacksite des Drachenkonzerns. Er hatte seinem Schieber gegenüber per Matrix den Verlust der Ladung gemeldet. Weissmann hatte getobt und ihn monatelang nicht mehr gebucht. Aber er war einer der besten Schmuggler in den Alpen und mittlerweile engagierte auch der General ihn wieder. Wie er vor einer halben Stunde erfahren hatte, waren Weissmanns Kunden aber die Disianer gewesen. Keine Ahnung, ob der General davon wusste, aber Josip war auch das egal. Er hielt sich aus den Geschäften und Ränkespielen seiner Kunden heraus und machte einfach nur seinen Job. Er war Landezone, der beste Schmuggler Oberbayerns, und er hatte keine Lust, in diesen Dreck hineingezogen zu werden.

Vielleicht sollte er trotzdem eine Zeit lang untertauchen? Es war November und die Witterung eine Katastrophe: Seit Wochen spielte das Wetter verrückt und die Schneemengen dieses Jahr brachen alle Rekorde. Immer mehr Gemeinden in den Alpen wurden zu Notstandsgebieten erklärt und der Verkehr zwischen Bayern und Südtirol war vollkommen zusammengebrochen. Kurzum: Zurzeit platzte Landezones Auftragsbuch aus allen Nähten und er konnte sich vor Aufträgen kaum noch retten. Jetzt eine Auszeit? Das würde seiner Reputation massiv schaden. Seine Kunden verließen sich auf ihn und auch Saeder-Krupp hatte massive Aktien in den Alpen und geizte nicht mit hochbezahlten Aufträgen, gerade für seine Zunft.

„Alles bereit!“ Die Textnachricht erschien und er sah, wie XTC wieder ins Auto stieg. Er mochte die junge Frau, auch wenn sie sein professionelles und sachliches Arbeitsethos immer belächelte. Er stieg aus und begutachtete die Palette. Gesicherter Container. Bio-empfindlich. Er ging noch mal die geforderten Spezifikationen durch und fand keine bösen Überraschungen. Ein Milkrun. Einfach nur von hier nach Harlaching an die Grenze des Renraku-HQs. Das Ganze lief unter dem Radar und Landezone würde sich nicht wundern, wenn innerhalb des Konzerns kaum jemand von der Lieferung wusste. Die Sicherheit auf jeden Fall nicht. Die machte ihm keine Sorgen. Sein Vogel hatte eine gute Tarnung und sein Decker würde ihn im Auge behalten.

Er verlud vorsichtig den Container und kehrte ins Cockpit zurück. 27 Minuten Flugzeit. Wenn nichts dazwischenkam, wäre er vor Sonnenaufgang zurück.

27 Minuten später setzte der T-Bird auf. Josip Horvat registrierte noch einen rapiden Temperaturanstieg im Laderaum und seine übermenschlichen Rigger-Reflexe konnten den plötzlichen Druckanstieg sogar noch als Explosion einordnen, bevor er starb. Die Explosion war großzügig bemessen und sein Kontakt bei Saeder-Krupp verschwendete ganze fünf Minuten für die Einordnung, inwieweit die Wahl des Schmugglers Zufall oder Absicht war. Fakt war, die Bombe riss drei Dutzend Konzernangehörige Renrakus in den Tod und vernichtete Aktiva im achtstelligen Bereich. Unter den Toten war der Schichtleiter der Frühschicht und die Wahl des Explosionsortes enttarnte ein unterirdisches Forschungslabor. Der Tod Josip Horvats, bekannt als Landezone, wurde vom Prime-Analysten daher als Kollateralschaden eingestuft. In diesen Tagen gab es weitaus Wichtigeres als den Tod eines regionalen Schmugglers.