Shadowrun

Autor: Cristo Fe Crespo Soro

Kurzgeschichte: Hallo, Mister Troll! – Teil 2

Hans Ulrich Kiemenauer hatte sich diesen Heiligabend wahrlich anders vorgestellt. In seinem maßgeschneiderten Mortimer of London Summit-Anzug gewandet stand er auf einer abgesperrten Straße im Freien und fror. Hose und Schuhe waren schon dreckig. Und das nervte ihn unheimlich. Weswegen er stets bemüht war, die herabfallenden Ascheflocken wegzuwischen, bevor auch noch sein Jackett daran glauben musste.

Seine Gattin war nicht gerade erfreut gewesen, als er vom Festessen mit ihren Eltern hierher befohlen worden war. Weshalb er jetzt nicht wusste, wie er das ihr gegenüber wieder gut machen konnte und ob sie noch mit ihm sprechen würde, wenn er heimkam.

Und falls das in ihm nicht Unbehagen genug auslöste, war der Anblick, der sich ihm hier und jetzt bot absolut niederschmetternd.

Die angemietete Speditions- und angrenzende Werkhalle vor ihm waren ein einziges Inferno.

Wieder wischte er ein paar Aschefetzen weg, die ihn wie bösartige Schmetterlinge angepeilt hatten.

Das anwesende Häufchen Feuerwehrleute der Laurentius Brandwacht AG hatte alles weiträumig abgesperrt und praktisch den ganzen Vorhof sowie die Hauptzufahrt als Gefahrenzone deklariert. Hier durften sich einzig deren Einsatzdrohnen aufhalten. Ansonsten hielten sie sich jedoch vom Feuer fern und warteten auf Verstärkung.

Da an diesem Ort die Exterritorialität galt und Aztechnology nicht gerade kommunikationsfreundlich war, was ihre hiesigen Tätigkeiten betraf, wusste niemand wirklich, was dort einen erwartete. Also wollte man nichts riskieren.

Erneut fragte er sich, weshalb er überhaupt hatte kommen müssen. Er war zwar der stellvertretende Manager des Unternehmens, das Aztech die Hallen vermietet hatte. Doch er hatte absolut keine Ahnung, was diese darin trieben.

Musste er auch nicht, das war sogar vertraglich so festgelegt.

Das Geld jedoch, das mit einer angsteinflößenden Kakophonie vor ihm in Rauch aufging, gehörte seiner Firma. Also war er protokollmäßig der Entscheidungsträger hier. Egal ob geeignet oder nicht.

Er wusste im Moment ja nicht einmal, welche Versicherung mit welcher Summe für den Schaden aufkommen sollte, oder an wenn er sich deswegen überhaupt wenden konnte. Denn er hatte bisher weder seine Sekretärin noch irgendjemand seines Teams erreichen können.

Musste das unbedingt an Heiligabend sein?

Hilflos blickte sich Hans Ulrich um.

Der Einzige, der etwas hätte helfen können, war der hiesige Werksbetriebsleiter, der sich momentan in einigen Meter Entfernung von einem überforderten Feuerwehrmann und dessen übereifrigem Medkit durchchecken ließ.

Doch leider stand dieser unter Shock und konnte nicht mehr genau sagen, wo die gefährlichen Stoffe gelagert wurden und welche Werkselemente bei Feuer eine potentielle Gefahr darstellten, möglicherweise sogar explodieren könnten. Darüber hinaus hüllte sich Aztechnology weiterhin in Schweigen, was den hiesigen Werkbetrieb betraf und gewährte weder ihm noch der Laurentius Brandwacht Zugriff auf irgendwelche Daten.

Vom einzigen vorgefahrenen Löschgruppenfahrzeug aus hielt die Feuerwehr das Feuer zumindest so weit im Zaum, dass es sich nicht weiter ausbreiten konnte.

Er sah sich um.

Abgeriegelt wurde das Areal von autonom agierenden Warndrohnen, die leuchtenden Warnpylonen ausgefahren hatten und mit herumlaufenden Leuchtschriftbändern die Zufahrten blockierten. Näherte sich jemand Unbefugtes, versperrten sie ihm den Weg und gaben Alarm.

Ein einzelner Feuerwehrmann ging zwischen diesen hin und her und kontrollierte sie ab und zu, stand ansonsten den vereinzelten Schaulustigen Rede und Antwort.

Im Moment unterhielt er sich schon länger mit einer hochgewachsenen Brünetten in schicker Abendgarderobe, die überhaupt nicht hierher passte, aber ihm irgendwie bekannt vorkam. Wobei Hans Ulrich hauptsächlich ihr Presseausweis am Revers irritierte.

Wieder kämpfte er mit den Aschenflocken und sah dabei in den Nachthimmel hoch. Es waren hier kaum News-Scout Drohnen zu sehen.

Was ja auch verständlich war. Denn zu seiner Linken erhellte der gewaltige Brand der Ares Macrotechnology Anlage den Himmel, deren Detonationen man manchmal bis hierher hörte. Jedes Mal drehten sich dabei die anwesenden Feuerwehrmänner besorgt in Richtung des anderen Feuers.

Irgendwo hatte er aufgeschnappt, dass sich einige von ihnen bei der Brandbekämpfung verletzt hätten.

„Hören sie mir überhaupt zu?“ Fragte ihn erneut der Feuerwehrhauptmann, der ihm gegenüberstand. Erst jetzt schien Hans Ulrich Kiemenauer diesen bewusst wahrzunehmen.

„Ja, leider ... es ist Heiligabend und wegen des Ares-Infernos können sie momentan nur diesen einzelnen Wagen entbehren. Praktisch gesagt, sind sie bloß in der Lage, dafür zu sorgen, dass die Halle kontrolliert abbrennt und das Feuer nicht auf andere Gebäude übergreift.“

Der Hauptmann nickte abgekämpft. „Bisher ging man davon aus, dass der Brandstifter etwas mit uns zu tun hatte und entweder der Laurentius Brandwacht schaden oder sie ins Rampenlicht hieven wollte. Aus welchen Gründen auch immer. Aber das hier könnte uns praktisch das Genick brechen. Wir haben weder die Ausrüstung, um zwei Brände dieser Größenordnung gleichzeitig zu bekämpfen, noch die nötigen Ressourcen. Die Hanse Security GmbH eilt uns zwar augenblicklich zu Hilfe, aber wegen des Verkehrs um diese Zone, werden sie frühestens in einer halben Stunde hier sein.“

Hans Ulrich blickte zum Inferno vor sich und der schwarzen Rauchsäule, die davon in die Höhe stieg und wollte sich jetzt nicht vorstellen, wie es in dreißig Minuten hier aussehen würde. Vor allem hoffte er, dass er dann schon weg sein würde.

„KE ist zwar mit dem Chaos um die Ares Anlage beschäftigt, steht aber auf Abruf bereit, falls sich hier etwas Schwerwiegendes ereignen sollte. So lange wir jedoch die Situation im Griff haben, werden sie nicht aufkreuzen.“

Einer der Feuerwehrmänner am Löschgruppenfahrzeug rief jetzt den Hauptmann zu sich und dieser entschuldigte sich, eilte davon.

Eine heftige Explosion erschütterte gleichzeitig den Komplex vor ihnen und schoss kurz eine gewaltige Feuersäule vom hinteren Bauwerk in den Nachthimmel hoch.

„Sie haben es wahrlich im Griff.“ Murmelte Hans Ulrich.

Währenddessen war der Werksbetriebsleiter zu ihm gestoßen, von dem es hieß, dass er als letzter das Gebäude verlassen hatte.

„Wie geht es ihnen?“ Fragte Hans Ulrich.

„Ich werde es überleben. Der Rauch macht mir im Moment noch zu Schafen.“

Mit ernster Miene starrte der Manager das Feuer an.

„Gut. Wissen sie mit Sicherheit, dass sich niemand mehr in der Anlage befand?“

Der Betriebsleiter nickte. „Ja. Bin mir absolut sicher. Da ist keine Sterbensseele mehr drin ist.“

Hans Ulrich Kiemenauer atmete erleichtert auf. „Wenigstens das bleibt uns erspart. Es genügt, dass es schon beim Ares Brand Tote gegeben hat. Rettet uns vielleicht vor den Schlagzeilen.“

Sein Gegenüber wollte gerade etwas hinzufügen, als das laute Röhren eines nahenden Fahrzeugs ihre Aufmerksamkeit erregte. Beide drehten sich verwirrt in Richtung eines schwarzen Bison III mit abgedunkelten Scheiben, roten Radkappen und einem roten Längsstreifen auf den Seiten, der die Auffahrt entlang gedonnert kam. Hatte es sich verfahren?

Augenblicklich scherten zwei der Wachdrohne aus und versperrten dem Fahrzeug den Weg, gaben laut Alarm von sich.

Der Ersten wich das Lastfahrzeug geschickt aus, doch die Zweite rammte es frontal und schob sie ein Stück weit vor sich hin. Bis der Wagen mit quietschenden Reifen eine 180% Kehrtwende vollführte und die Drohne sich überschlagend umwarf. Dann raste er rückwärts in die brennende Halle, durchschlug dabei die Tore und riss diese mit sich in das Flammeninferno.

Der Lieferwagen kam inmitten des brenneden Gebäudes zum Halten.

Ocho hing immer noch an der Riggersteuerung, als er hastig zu den anderen sprach. „Hab einen uralten Gefallen eingezogen. K0nTro11 hat die Baupläne eines partiell subterranen Umbaus einer Fertigungsanlage ausgegraben, für die jemand ein Vermögen zahlte, sowohl was die Baukosten betrifft, wie auch die nötigen Schritte, um dessen Existenz zu verschleiern. Wenn sie sich irgendwo verstecken, dann nur dort.“

Er wies auf einen Punkt vor sich, an dem jeder in der AR die hellblau leuchtende Silhouette ihres Fahrzeuges innerhalb der angedeuteten Industriehalle sehen konnte. Zwei grüne Punkte pulsierten langsam darin. Hiervon ging eine rote Linie mittig durch die Halle bis zu einem Fahrstuhlkomplex am Durchgang zum zweiten Gebäude, an dem ein stilisierter Teddy blinkte.

„Jeder hat den Grundriss des Werkgebäudes stets vor Augen. Marker geben die jeweilige Position des anderen und das Ziel an.“ Fuhr Ocho weiter. „Wir sind hier in einer Speditionshalle, in der sich keine markanten Hindernisse befinden und sich das Feuer momentan auf die Warenpaletten an den Seiten konzentriert. Und was potentielle Hürden betrifft ... ich hab vorher bemerkt, dass sie draußen diesen blinkenden Spielzeugdrohnen haben. Werde versuchen, so viele wie möglich davon zu kapern, um euch einen Pfad frei zu rammen. Auch sie werden markiert, so dass ihr sie sehen könnt. Bleibt bitte stets in der Mitte der Halle, den laut den Risikokalkulationen der Bauunterlagen, wird das Dach sicherlich noch mindestens zwanzig Minuten lang halten. Und diese Strecke entspricht nicht einmal einer halben Fußballfeldlänge, egal wie ewig sie euch vorkommen wird.“

Die Magierin nickte bestätigend, während sie die maßgeschneiderte Militärpanzerung überprüfte, in der sie gerade steckte. „Bei Hekate, dachte wirklich nicht, dass ich jemals wieder freiwillig in dieses Unding steigen würde. Aber ich hatte es nicht so eng in Erinnerung.“

Rasch band sie sich ihr Haar zurück und stülpte sich den zur Rüstung gehörenden Helm über. Als die dazugehörige Sensorphalanx hochfuhr, war sie baff, dass noch alles funktionierte.

„Hört ihr mich?“

Alle nickten und streckte ihr Old Man den erhobenen Daumen entgegen.

Dieser zwängte sich seinerseits in einen passenden Feuerwehr-Schutzanzug.

„Wusste gar nicht, dass du sowas besitzt.“ Kommentierte Janus den Anblick.

„Ich war nicht immer Runner.“

„Stimmt.“ bestätigte Ocho mit einem Seitenblick zur Magierin. Mit seinen gespaltenen Hufen kletterte er währenddessen am Troll herum und fixierte mit Unmengen an Panzertape den Rest des fehlenden Ärmels des Schutzanzuges an dessen Cyberarm. Stets bedacht, dass er mit dem Tape nicht an seine behaarten Beine geriet.

„Das war also all die Jahre in deiner geheimnisvollen Kiste drin.“ Kommentierte er abschließend sein Werk, als er auf eine Munitionsbox hüpfte, um den ganzen Anzug überblicken zu können.

„Nicht nur das ...“

Voller Ehrfurcht griff jetzt der Troll mit der Cyberhand in die Transporttasche, aus der er den Schutzanzug hatte und zauberte eine riesige Troll-Feuerwehraxt hervor. Ocho und Janus wichen sichtlich beeindruckt zurück.

Old Man dagegen starrte die Axt an, als wäre sie etwas Mystisches, dessen er sich erst noch würdig erweisen musste. Und seit Jahrzehnten fühlte sich sein Cyberarm endlich wie ein Teil von ihm an.

„Mal sehen, ob diese dämliche Wärmeableitung wirklich was bringt.“ Unterbrach Debi die entstandene Stille, als sie ein letztes Mal die Sauerstoffzufuhr zu ihrem Helm checkte und nachdenklich die Hand auf das abgewetzte Abzeichen an ihrer Brust legte, dass zwei gekreuzte Schwerter über einem Adler und einem Anker zeigte. Dann verdunkelte sie das Sichtvisier komplett. Ihre folgenden Worte sprach jeder stumm mit. „Ich muss nicht sehen, um zu sehen.“

Als Ocho Old Man schließlich das O.K. Zeichen gab, half er diesem auch, einen imposanten Rucksack zu schultern, in den sie praktisch alles gepackt hatten, dass sie bisher zur Wundversorgung in der nahen Fuchshöhle gehortet hatten. Darunter mehrere feuerfeste Schutzdecken, ein hochkarätiges Erste-Hilfe-Set mit etlichen Notsauerstoffbehälter und Atemmasken sowie eine Handvoll Slap-Patches, hauptsächlich Stim- und Trauma-Patches. Sogar mehre Vitalmonitoren hatten es hineingeschafft.

Unterdessen legte Janus der Magierin die Hand auf die Schulter. „Nichtelfische Menschenfrau, du erklärst mir doch stets, dass nichts auf dieser Welt ohne Grund geschieht.“

Ein unsicheres Nicken war die Antwort.

„Wieso wohl hast du heute Tobi und Mark mitgenommen?“

Debis Haltung veränderte sich schlagartig, wurde selbstbewusster und schien ihre Nervosität komplett zu verfliegen.

Dann reichte ihr der Troll seine natürliche Hand.

„Mylady?“

Als sie sich nun in seine Armbeuge schwang, machte sie das mit der Grazie einer Raubkatze und sprach dabei mit absoluter Sicherheit. „Einmal Hölle und zurück! Und wir kommen mit Begleitung heim.“

Dann warfen Janus und Ocho mehrere klitschnasse Decken über die beiden.

Schließlich packte Old Man seine Axt, bis das Metall der Cyberhand knirschte, und murmelte kaum hörbar. „Dieses Mal, komme ich rechtzeitig.“

Die Hintertüre sprang auf und der Troll war mit einem Satz aus dem Wagen und im Rauch verschwunden.

Obwohl die Türe sofort zuklappte und den Innenraum luftdicht versiegelte, traf die Hitzewalze, die dem Satyr und Elfen entgegenschlug sie mit einer derartigen Wucht, dass beide leichte Verbrennungen im Gesicht davontrugen. Dann sprang die Belüftung an und kühlte das Wageninnere auf eine verträgliche Temperatur herunter.

Janus schwang sich währenddessen auf den Beifahrersitz, während sich Ocho in seine Sitzmulde fallen ließ. In der AR erschien zwischen ihnen das Bild der Männer, die sich bei ihrer Ankunft im abgesperrten Bereich aufgehalten hatten, obwohl sie nicht zur Feuerwehr gehörten.

„Das sind Manager MoL Hans Ulrich Kiemenauer, Besitzer dieses momentanen Hochofens und Werksbetriebsleiter Christian Melvoin, Chef davon. Halt dich an den MoL. Denn CM besitzt Kontakte zur hiesigen Mafia.“ Ocho grinste.

“Ebenso weiß ich, dank meines ikonischen sensorischen Speichers, dass er im Zusammenhang mit dieser illegalen Manufaktur billiger Schwarzmark-Kommlinks, die in dieser Zone vermutet wird, mehrfach bei BEEP Erwähnung fand.“

„Wie heißt MoLs Frau? So unpassend gekleidet er heute dort steht, wird sie wohl nicht erfreut sein.“

„Moment.“

Während Ocho den Bison III im Rückwärtsgang aus der Flammenhölle manövrierte, lud er Janus die zwei Dossiers der Männer hoch, die er während der Fahrt hierher zusammengestellt hatte.

„Tina ... und sieht slavisch aus.“ Kommentierte der Elf den Bilderfächer, den er von der Frau vor sich in der AR öffnete.

„Sehr wahrscheinlich eine Vory Drohne.“

„Interessant. Weiß er von seinem Glück?“

„Denke nicht.“ Ocho hängte mit einem seiner Hörner seine Fahrerbrille von einem Stoffeinhorn ab, der am Autodach fixiert war. Ein Glücksbringer, der ihm seine Älteste gemacht hatte.

Nun stülpte er sich die Brille über, wie wohl ein Ritter im Mittelalter sein Helmvisier zum Kampf hinuntergeklappt hätte. „Ich, werde den Kontakt so lange wie möglich aufrecht halten und was ich an Hardware habhaft werden kann dazu benutzen, ihnen den Pfad zu ebnen. Ich sorge dafür, dass drinnen sie niemand behindern kann. Sorg du dafür, dass das keiner hier draußen macht. Und halt sie mir so lange wie nur möglich vom Pelz!“

Der Wagen hielt mit quietschenden Reifen.

„Und noch was Janus.“

„Ja?“

„Ich glaube nicht, dass erste Hilfe bei Rauchvergiftung etwas bringt.“

„Ich organisiere einen Krankenwagen.“

„Ein einzelner? Für eine Orkfamilie?“

Janus zog eine Grimasse. „Ich finde was.“

„An Weihnachten?“

„Vertraue mir!“

Die Fahrzeugtüre entriegelte sich und beide nickten sich zu, als ginge es darum, wer als erster in die Hölle hinabschleichen und dem Teufel höchstpersönlich eine Ohrfeige verpassen könnte.

Dann trat Lancelot Benabdelkhalek, den alle schon seit Ewigkeiten bloß unter seinem Straßennamen Janus kannten in die kalte Dezembernacht hinaus.

Er versuchte, die Angst und die Sorgen aus seinen Gedanken zu vertreiben, als er sich den überraschten Männern und den zu ihm rennenden Feuerwehrmänner zuwandten. Während er jetzt die Schultern anspannte, gefror sein Gesicht förmlich und wurde zu der undeutbaren Maske, welche seine Mitrunner respektvoll sein Pokerface nannten.

Er fokussierte sich auf die Leute vor sich, versuchte ihre Mimik und Gestik wie in einem Buch zu lesen und selbst die Details zu entdecken, mit denen sie unbewusst mehr preisgaben, als ihnen bewusst war. Dabei taggte er jeden Anwesenden der Szenerie in der AR mit einem kommentierten Marker. Hierbei erblühten die Dossiers der zwei Zielpersonen wie prächtige Blumen, deren Blütenblätter die einzelnen, gesammelten Datenblöcke waren.

Erfreut markierte er auch Debbie Tyler Foxx, ein aufsteigendes Sternchen der WELT im FOKUS, die sich hier in der exterritorialen Zone einen ziemlichen Namen gemacht hatte. Ihr Anielski-Joop Anzug war der Hammer.

Dann traf sein Blick den Christian Melvoins.

Es war augenscheinlich, dass dieser eine unerfreuliche Begegnung mit dem Feuer gehabt hatte. Aber irgendetwas störte Janus an der Art und Weise, wie der Mann sich bewegte. Es wirkte irgendwie ... nicht echt.

Also hielt er dem Blick stand und versuchte, in den Augen des Werksbetriebsleiters zu lesen, zu ergründen, ob sich dahinter etwas verbarg.

Ein stummes Duell entbrannte.

Gleichzeitig behielt Janus sein Schritttempo bei und ließ sich von nichts beirren. Bis Christians rechtes Augenlid mehrfach nervös zuckte und dieser einen halben Schritt zurückwich. Er erblasste sichtlich.

Der Gang des Elfen wurde federnder und entschlossener.

Ohne Mühe wich er jetzt den Feuerwehrmännern aus und ließ diese ins Leere rennen, schlängelte sich praktisch bis vor Hans Ulrich Kiemenauer, der ihn ein wenig verängstigt ansah.

Hinter ihm kontaktierte der Feuerwehrhauptmann gerade Knight Errant.

„Guten Abend,“ stellte er sich dem Manager vor und verbeugte sich dabei leicht, „ich nehme nicht an, dass ihnen bewusst ist, dass hier ein schwerwiegendes Verbrechen stattfindet, das ihrer Firma Kopf und Kragen kosten könnte.“

„Die Feuerwehrleute waren zwar heran und packten ihn, versuchten, ihn dabei zu Boden zu ringen, als sie auf ein Zeichen des Managers innehielten.

„Wie meinen sie das?“ Fragte dieser irritiert.

Janus befreite sich aus dem Griff der Männer und rückte sich den Langmantel zurecht, während er erfreut feststellen musste, dass er mehr Erfolg gehabt hatte, als er je zu wagen gehofft hatte.

Höflich antwortete er. „Vielleicht wollen sie zuvor noch ihrer Gattin Tina Bescheid sagen, dass es heute einiges später werden wird?“

Während er hierauf einen verunsicherten Blick des Managers kassierte, tat er so, als hätte er unter den Zuschauern hinter den Abschrankungen jemanden entdeckt. Gleichzeitig setzte er seinen Stimmenmodulator so ein, dass man ihn trotz Feuer und Feuerwehr auch aus größter Entfernung gut und deutlich hören konnte.

„Debbie Tyler Foxx du hier? Du bist wahrhaftig ein Traum! Prinzessin, suchst du immer noch die Story des Jahres?“

Als er sie zu sich winkte, murmelte er ein „sie gehört zu mir“ in die Runde und wandte sich dann wieder Hans Ulrich zu, bevor dieser etwas sagen konnte.

Als er nun aus den Augenwinkeln Tylers braune Mähne erkannte und sich sicher war, dass sie in Hörweite war, begann er seine Charade.

„Fragen sie doch ihren Betriebsleiter. Der weiß mehr darüber.“

Hans Ulrich fuhr zu Christian Melvin herum.

Doch hier stand niemand mehr. Der Werksbetriebsleiter schien wie vom Erdboden verschluckt.

Während sich nun die Feuerwehrleute und der Manager suchend umsahen und einer von ihnen den Mann auf einem nahen Parkfeld erkannt zu haben glaubte, küsste Janus elegant der Journalistin die Hand und lächelte sie bezaubernd an.

„Hilf mir, und du kriegst für Welt im Fokus exklusiv den ultimativen Weihnachtshammer.“

Verwirrt erlebten währenddessen einige Feuerwehrleute, wie ihre Warndrohnen, die leuchtenden Warnpylonen einklappten und die Leuchtschriftbändern löschten, um dann in die brennende Halle zu rasen.

Wendy Mazar gähnte gelangweilt.

Langsam wanderte ihr Blick vom Trideo-Schirm zur Kommunikationsanlage mit den dunklen Bildschirmen und dann wieder zurück zur Telenovela.

Zum x-ten Mal fragte sie sich, wieso sie den Pikettdienst mit Zevo getauscht hatte. Heute war doch Heiligabend.

Mit einem schweren Seufzer verfolgte sie währenddessen die leidenschaftliche Umarmung der zwei elfischen Protagonisten. Konnte man wirklich so atemberaubend schön sein?

Der folgende Kuss der beiden mochte so falsch wie praktisch alles an dieser Telenovela sein, aber hier empfanden die Leute wenigstens etwas füreinander. Was leider nicht dem realen Leben entsprach.

Und sie musste sich eingestehen, dass Zevo im Gegensatz zu ihr, eine Familie hatte, von der er behauptete, dass sie ihn lieben würde. Ihr Freund kam ihr hierbei in den Sinn, der sicherlich wieder betrunken im Sofa lag. Wahrscheinlich hatte er sich auch übergeben. Nur schon der Gedanke daran widerte sie an und war gleichzeitig die Antwort auf die Frage, die sie sich bald wieder stellen würde.

Ihr Leben war einfach nur beschissen.

Was würde Sie für ein wenig Ablenkung geben.

Im Trideo schritt die Elfe mit ihrem bis zu den Knöcheln reichendem Haar gerade durch ein Meer von Blitzlichtern einen roten Teppich entlang.

Ihr würde ein wenig Rampenlicht auch guttun.

Und sicherlich ihr Leben endlich wieder in Schwung bringen.

Ach, wieso konnte es nicht einmal so sein?

Hektisch blinkend erwachte vor ihr ein rotes Licht zum Leben.

Oh, da kam wer über die direkte Notfallnummer rein.

Rasch legte Wendy den Stift weg, mit dem sie sich die Fingernägel am Färben gewesen war und klaubte sich den phosphoreszierenden Kaugummi aus dem Mund. Dann öffnete sie den Kanal. „Hier ist der Notfalldienst des Spitals Grünwiesen. Wendy in der Leitung. Nennen sie mir bitte ihren Notfall?“

„Du weißt, du schuldest mir was.“ Meldete sich eine männliche Stimme.

Verwirrt schaltete Wendy das Bild zum Anruf ein. „Janus, bist du das? Was zum Teufel willst du an Weihnachten von mir?“

“Wendy Mazar, geborene O’Connor, du hast genau dies eine Chance: Willst du das kommende Jahr als Arschloch vom Dienst und Feigling der Nation angehen oder als gefeierter Held im Rampenlicht stehen?“

Suchend sah sich Old Men um und versuchte, dass wenige, dass er erkennen konnte mit dem in Einklang zu bringen, was er in der AR vor sich hatte. „Wir sind hier! Hier müsste es eigentlich sein.“

„Ich kann weiterhin nichts sehen. Hoffen wir einfach, dass Henrietta weiter durchhält.“ Erklärte Debi über ihre Funkverbindung, während sie sich mit dem Rücken an ihn presste.

Wie angriffslustige Raubkatzen umkreisten sie einstweilen die Flammen, schwollen an und verebbten wie die Wellen einer tobenden See, hielten aber Abstand, als stünden die beiden augenblicklich im ruhigen Auge eines Tornados. Eines tobenden Feuertornados.

Wütend verschlangen die Flammen dafür einige Meter entfernt die Überreste einer Feuerwehrdrohne und schmolzen diese zu einem Klumpen einer schwarzen, unansehnlichen Masse zusammen.

„Der Kontakt zu Ocho ist weg.“ Fügte Debi hinzu.

Zwar war die Hitze unerträglich, aber Robin Warden Cusack sagte sich ständig, dass er nicht nur Schlimmeres erlebt, sondern auch überlebt hatte. Es gab also keinen Grund zur Sorge.

Noch nicht.

Denn es schien ihm, als hätten Tobi und Mark inzwischen immer mehr Mühe, das Feuer um sie herum im Zaum zu halten.

Ein schwaches Vibrieren erwachte in seinem Cyberarm und fühlte sich die Axt einiges schwerer als zuvor.

„Der Astralraum ist hier zwar übelst, aber ich müsste trotzdem etwas sehen können.“ Die Magierin legte ihre Hand auf die Pranke des Trolles, der diese schützend vor sie hielt.

„Bist du dir wirklich sicher?“

Old Man spürte, wie es ihm bei ihrer Frage das Herz zusammennahm. Noch konnte er die finsteren, zerstörerischen Gedanken fernhalten, noch hatte er Hoffnung.

In ihrer Nähe stützte krachend eine Regalwand zu Boden und schickte ihnen eine Hitzewelle entgegen, die ihn mit einer betäubenden Wucht traf, als er sich so drehte, dass er mit seinem Körper Debi komplett davor schützen konnte.

Die Decken auf seinen Schultern dampften immer heftiger, während er sich langsam fragte, wie hitzeresistent der Rucksack war, den er trug.

Er konnte es physisch spüren, wie die Zeit verrann und ihm entfloh.

Noch einmal strengte er sich an, versuchte, den Durchgang zu entdecken, der sich hier befinden sollte ... befinden musste!

Seine Stimme klang immer verzweifelter. „War das wirklich bloß ein Hirngespinst? Genügen die Alpträume nicht? Verdammt nochmals, es ist Weihnachtsabend. Wenn ich jemals in meinem verkackten Scheißleben ein Wunder erleben sollte, dann doch heute. Das ...“

Besorgt ergriff Debi einen seiner Finger und drehte sich herum, um ihm Mut zuzusprechen. Sie erstarrte in der Bewegung, während ihr Körper Überraschung ausdrückte, als sie etwas neben ihn zu fixieren schien.

Er sah dorthin.

Die Stimme, die nun jeder von ihnen hörte, klang überrascht.

„Hallo, Mister Troll. Was tun sie hier?“


Weiter gehts mit dem dritten Teil der Geschichte am 14.12.2022.