Eine Geschichte von Bastian Kosfeld
für den SHADOWRUN-Adventskalender 2023
Skudrinka
[Hamburg-Stade nahe der Grenze zu Hamburg-Harburg, 06.11.2082, 18:43:25 Uhr]
Das Tageslicht wurde schon vor fast zwei Stunden vom elektrischen Licht der Laternen, Leuchtreklameschilder und Flutlichtstrahler mancher umzäunter Industrieflächen abgelöst. Eine alte und stillgelegte Werkhalle einer längst vergessenen Firma nennt der Riese Skudrinka sein Zuhause. Die „Wohnung“ ist groß genug, dass dieser kräftige, 3,25 Meter große Hüne sich auch mal gerade machen kann, ohne mit dem Kopf irgendwo anzustoßen. An diesem späten Freitagnachmittag hat sich Skudrinka einen schönen „Bucket Hot Wings“ in Trollgröße von Hansa Chicken besorgt und ein kleines 5-Liter-Fässchen Freibeuter Pils kaltgestellt. Für den Box-Titelkampf im Trollgewicht zwischen Enrico Speceguti und Lovis Sjöberg kann er sich so etwas auch mal gönnen. Bevor sich Skudrinka auf seinem Sessel niederlässt, geht er noch mal durch seine Wohnung und schaut nach seiner BMW Trollhammer, die er heute tagsüber noch frisch poliert hat.
Die dritte Runde läuft. Skudrinka mit dem Bucket auf der linken Seite und seiner „Dose“ Pils auf der rechten Seite ist bisher sehr begeistert von dem Kampf. Beide Kontrahenten liefern sich einen starken Schlagabtausch und die Deckung beider hat bisher keinen Kopftreffer zugelassen. Die Nummernmädchen, wenn auch weniger wichtig, sind Eye Candy für das Publikum vor Ort und vor den Trideos.
Dem Außengelände von Skudrinkas Wohnung nähert sich eine robuste Gestalt im Mantel. Sie hat einen kahlen Kopf und gräuliche Haut. Dort, wo man die Nase vermuten würde, befinden sich nur zwei Klappen, die die Nasenhöhle abdecken. Zielstrebig geht sie auf einen Eingang zu und bricht die Tür mit Leichtigkeit auf. Das entstehende Krachen alarmiert Skudrinka. Dieser krallt sich seinen Baseballschläger, geht der Ursache auf den Grund und erblickt den Eindringling.
„Oh, du hast einen großen Fehler gemacht. Hast du überhaupt eine Ahnung, mit wem du dich hier anlegst?“, kommt es kehlig von Skudrinka, der langsam den bulligen Eindringling zu sehen bekommt. „Was zur Hölle …“, sagt er noch, kurz bevor ihn die Gestalt aus dem Stand mit einem gewaltigen Drei-Meter-Sprung anspringt und sich mit Beinen und Greiffüßen an Skudrinkas Oberkörper festklammert. Sofort prasselt eine Reihe von Schlägen auf Skudrinka, der einige Mühe hat, diese abzuwehren, ein. Da er mit dem Schläger nicht wirklich ausholen kann, lässt er ihn fallen und greift sich sowohl Hals und Nacken des Angreifers, zieht diesen über seine Schulter und lässt sich nach hinten fallen. Es macht einen lauten Knall, als der Schädel des Angreifers den Boden zuerst erreicht. In diesem Moment der Benommenheit kann sich Skudrinka aus der Umklammerung seines Angreifers lösen. Er schnappt sich seinen Schläger und teilt selbst ein paar Schläge aus. Doch gelingt es dem gorillaartigen Eindringling, den Schläger zu packen, ihn dem Riesen zu entreißen und von sich wegzuschleudern. Die beiden geraten anschließend in einen offenen Schlagabtausch, und sowohl die rindenartige Haut des Riesen als auch die graue Haut des Angreifers zeigen zusehends immer mehr Hämatome. Im Trideo wird inzwischen die 7. Runde eingeläutet.
Mittlerweile im Clinch, versucht der eine, den anderen in die Aufgabe oder Bewusstlosigkeit zu pressen. Blut strömt aus einer Platzwunde oberhalb von Skudrinkas linker Augenbraue. Er gibt kein bisschen klein bei, er gibt nicht auf. Ein Kampf auf Leben und Tod. Da erblickt er einen der Kettenzüge, die er in seiner Werkhalle nie entfernt hat, und manövriert sich zusammen mit dem Angreifer unter großen Kraftanstrengungen in ihre Richtung. Er nimmt weitere harte Schläge in Kauf, aber es gelingt ihm, die Kette zu greifen und sie wieder und wieder um den Hals des Gorillaartigen zu schwingen. Ein kräftiger Zug und der Angreifer hängt in der Luft, nach der Kette greifend, um sich wieder zu befreien. Im nächsten Augenblick hängt sich Skudrinka mit einem abrupten Einsatz seines ganzen Körpergewichts an die Kette und der Kopf des Angreifers wird vom Torso getrennt und beides fällt zu Boden. Nach ein paar Atemzügen lässt die Wirkung des Adrenalins nach und Skudrinka gerät ins Schwanken, sackt blutend neben seinem Gegner nieder und verliert das Bewusstsein.
[22:17:25 Uhr]
Zwei Biker, ein Ork und ein Mensch, nähern sich Skudrinkas Wohnung und bemerken schnell die Einbruchsspuren. Hastig stellen sie ihre Maschinen ab und eilen ins Haus, erblicken das Schlachtfeld. Der Ork eilt zu Skudrinkas Körper und fühlt nach dessen Puls. „Ruf sofort Doc Sanchez an. Unser Sku hat noch Puls!“, schreit er dem Norm entgegen …