Shadowrun

Eine Kurzgeschichte von Bastian Kosfeld
für den SHADOWRUN-Adventskalender 2024

Frank Grafensteiner

Kneipe "Ein Stück Heimat" Bönen, 09.12.2066, 18:43:25 Uhr

Eine verrauchte Kneipe. Der Trideo läuft und bedudelt den Schank- und Thekenraum mit teilweise adventstauglicher Musik. Selbst dieses eine, allen die Nerven raubende Lied von längst verstorbenen Künstlern erschallt pünktlich in der Adventszeit wieder, wie ein Zombie, der sich weigert im Grabe zu bleiben. Frank Grafensteiner (ein Norm, Anfang 50, blaue Augen, graues Haar) sitzt mit Bier und Korn an der Theke und hat sich hier eingefunden, um seinen Kummer zu ersäufen. Vor kurzem gab es begünstigt durch weltweiten Wirtschaftsaufschwung eine Übernahme der Logistikfirma "Steuermüller", für die er viele Jahre als Fahrer und Logistiker tätig gewesen ist, durch "Serken Logistics". Erst hatte es noch geheißen, man werde keine Stellen abbauen, doch Ende November hieß es dann von der Firmenführung in Person von Tolga Serken, dass man vollständig auf automatisierte LKWs setzen wird und man für die Menge der Fahrer von Steuermüller keinen Bedarf mehr hätte und man (angeblich) schweren Herzens vielen Angestellte von Steuermüller nicht übernehmen könnte und Ihre Arbeitsverträge mit sofortiger Wirkung terminiert sind.

Barkeeper Karl (ein Norm, Mitte 40, braune Augen, kupfernes Haar, Schnurrbart) füllt gerade den Korn nach und richtet ein paar Worte an Frank.

"In letzter Zeit sehe ich dich öfter hier, Frank. Und du siehst aus, als könntest du ein offenes Ohr vertragen."

"Ich weiß doch gerade auch nicht weiter. Da hat man der Firma Jahre seines Lebens gegeben und war bereit in der Krise nach dem Crash auf Teile des Gehalts zu verzichten, um die Firma zu retten… Und dann… und dann kommt da wer an, kauft die Firma auf und setzt uns auf die Straße. Und mit über 50 stellt man auch keinen mehr ein. Kaum jemand braucht noch mehr Fahrer – wird doch so vieles automatisiert." kommt es von Frank. "Und ich weiß auch gerade nicht mehr, wie ich alle Rechnungen bezahlen soll – und Simone und die Kinder haben ein tolles Weihnachten verdient…"

"Hmm. Vielleicht kann ich dir da sogar helfen. Hast du auch einen Tiertransportschein?" fragt Karl.

Diese Frage belebt Franks Stimmung, stärker als es die berauschende Wirkung des Alkohols tut. Mit deutlich weniger weh leid in der Stimme sagt er: "Ja, natürlich habe ich einen. Oft genug haben wir Schweine und Rinder von den verschiedensten Höfen zu den Schlachtbetrieben liefern müssen."

"Es ist nämlich so. Mein Bruder Uwe soll am Montag für einen… sagen wir, Herrn Müller, Tierfracht aus Leipzig-Halle abholen und nach Dortmund transportieren. Allerdings ist er heute Mittag gestürzt und hat sich das Bein gebrochen. Wenn du seinen Auftrag übernehmen magst, sollten genug Euros für ein schönes Fest winken." erläutert Karl. "und… und wenn du die Sache gut machst, kannst du vielleicht auch weitere Fahrten für Ihn übernehmen, bis er wieder gesund ist. Soll dein Schaden nicht sein."

"Ich bin dein Mann!" entgegnet Frank und reicht Karl die Hand. Ein Handschlag erfolgt und am nächsten Tag trifft sich Frank mit Uwe und holt den Sattelzug (weiße Sattelzugmaschine auf dessen Türen rennende Schweine aufgedruckt sind und grauem Sattelauflieger) ab und macht sich auf den Weg nach Leipzig-Halle.

Xenobreed Critterfarm, Leipzig-Halle, Montag, 13.12.2066, Uhrzeit 10:03:00 Uhr

Der Morgen ist stark bewölkt und die Wettervorhersage hatte eine sehr hohe Niederschlagswahrscheinlichkeit prognostiziert – aber im Moment ist es noch trocken. Die "Fracht" ist sicher im Anhänger untergebracht und es wurde mehrfach darauf hingewiesen, den Anhänger nur zu öffnen, sofern kein Sonnenlicht einstrahlt. In Ruhe noch von seinem warmen Soykaf aus seiner Thermoskanne trinkend sucht sich Frank seine Route nach Dortmund raus. Nachdem die letzten Reste des Megaplexes im Rückspielgel verschwinden, befindet er sich auf einer Landstraße, welche zur Autobahn führt. Nach wenigen Kilometern bemerkt Frank Verkehrsschilder, die darauf hinweisen, dass die nächste Auffahrt gesperrt und Umleitungsschilder melden "Autobahn in 12 km".

"Dann wohl noch etwas landschaftliche Idylle" denkt sich Frank, während ein Bauernhof an seiner linken Seite vorbei huscht. Der angekündigte Regen setzt dann auch ein und es wird entsprechend düster.

Das Navi gibt mittlerweile Autobahn in 10 km an. Im Rückspiegel bemerkt Frank mehrere Scheinwerfer, die rasch näher zu kommen scheinen. Erst denkt er sich, es seien nur andere Fahrzeuge, doch mit der Zeit, formen sich bedrohliche Silhouetten von Motorrädern ab. In diesem Moment, erinnert er sich an die Durchsagen im Radio, dass es in der Gegend um den Megaplex in letzter Zeit zu Überfällen und Morden durch Go-Gangs gekommen sei. Er spürt Adrenalin und der Griff um das Lenkrad wird fester und fester. "Wenn ich anhalte, ist das mein Tod…" schießt es ihm durch den Kopf und er tritt stärker auf das Gaspedal. Die Motorräder sind schneller und das erste taucht neben ihm auf und der Fahrer zielt mit seiner Pistole auf ihn. Instinktiv steuert Frank den Sattelschlepper nach links und zwingt den Go-Ganger zum Ausweichen. Durch die nasse Straße gerät dieser, zum Glück für Frank ins Schlingern und landet im Straßengraben. Seine Kameraden ziehen vorbei, während Frank versucht, immer wieder beide Spuren zu belegen, auf dass keiner der Ganger noch einmal an seiner Seite vorbeiziehen kann. Beide Außenspiegel zeigen die Ganger, die Waffen bereit machen.

Zur rettenden Autobahn sind es noch 8 km. Bisher gelingt es Frank, die Ganger am Aufschließen zu hindern, doch aus der zweispurigen Landstraße werden drei Spuren. Diverse Kraftausdrücke durchstreifen Franks Gedanken. Die Ganger nutzen den gewonnenen Raum und schließen wieder und Frank sieht sich jetzt sowohl von links als auch rechts von Waffen bedroht. Er entscheidet sich für links, und bringt den Biker zu seiner linken zu einem Ausweichmanöver. Von seiner rechten Seite gibt es einen Knall und eine Kugel in der Scheibe der Beifahrerseite verursacht ein Rissmuster, doch noch hält die Scheibe. "Mehr Gas, mehr Gas…." spricht Frank mehr zu sich selbst und der Fuß auf dem Gaspedal wird mehr und mehr zum Bleifuß. Weitere Kugeln von rechts bringen die Scheibe letztlich zum Bersten und Scherben verteilen sich in der Kabine.

Es sind noch 6 km zur Autobahn. Ein Straßenschild mit dem Hinweis, dass die drei Spuren in 500 Metern wieder zu zwei Spuren werden fliegt am Straßenrand vorbei. Ein Biker springt von rechts auf die Sattelzugmaschine und versucht über das Fenster einzudringen. Vor Schreck zieht Frank nach rechts und zwingt den rechts fahrenden Ganger zum Ausweichmanöver, bei dem dieser beinahe im Straßengraben landet und vor einem Schild mit Autobahn in 4 km zum Stehen kommt.

Etwas Gegenverkehr entlastet Franks linke Seite. Der Biker an seiner Beifahrerseite versucht nach Frank zu greifen. Zuckende Blicke auf Straße und neben sich… greift Frank nach seiner Thermoskanne und schlägt gegen die Hand, den Arm und den mit Spinnennetzen verzierten Helm des Gangers. "Raus!" – "Aus!" – "Meinem!" – "Laster!" – mit jedem dieser Worte geht ein Schlag einher. Doch der Ganger zeigt sich unbeeindruckt und die Plastikkanne zerbrecht beim letzten Schlag gegen den Helm und heißer Soykaf ergießt sich über Helm und Beifahrersitz. Noch 2 km.

Eine Eisenbahnbrücke nähert sich. Frank blickt immer wieder von Straße zur akuten Bedrohung hin und her. Er zieht nach etwas rechts und opfert mit einiger Funkenproduktion an der Beifahrerseite seinen rechten Außenspiegel am Brückenpfeiler. Der Ganger springt vorher ab und bleibt nach einigen Rollen regungslos abseits der Straße liegen.

1 km bis zur Autobahn. Franks Kopf ist Knallrot und sein Herz rast. Im linken Außenspiegel sieht er noch die Scheinwerfer eines letzten Motorrads, welches glücklicherweise abdreht.

Frank erreicht die rettende Autobahn. Einige Kilometer später, fährt er an einem belebten Rastplatz mit McDöner und Tankstelle raus und kommt zur Ruhe.

Nachdem er sich wieder gefangen hat, sucht er nach einer Werkstatt, um den verlorenen Außenspiegel und die beschädigte Außentür zu reparieren und wird bei Nordhausen fündig. Nach Reparatur und Meldung an den Auftraggeber, setzt Frank seine Fahrt nach Dortmund fort und kommt in den späten Abendstunden an seinem Ziel an. Die Bezahlung erfolgt und Franks Weihnachten ist gerettet.